Transporteur 06/22 – Dr. Schärmer – Ihr habt den Falschen erwischt!

Ausgangslage

Anlassfall war eine Strafe gegen unseren Mandanten als Geschäftsführer eines Transportunternehmens für zahlreiche Übertretungen nach dem Arbeitszeitgesetz (AZG) aus dem Jahr 2020. Konkret wurde hierbei der Lenker Anton A. (fiktiver Name) bei einer Unterwegskontrolle mit dem Kennzeichen W-1111GT (fiktives Kennzeichen) angehalten. Bei der Auslesung der Fahrerkarte wurden vom kontrollierenden Beamten Lenk- und Ruhezeitübertretungen festgestellt.

Erstes Verfahren

Aufgrund dieser Kontrolle wurde gegen unseren Mandanten ein Straferkenntnis erlassen, in dem angelastet wurde, dass der Lenker Anton A. mit dem Kennzeichen W-1111 GT verschiedene Übertretungen begangen habe. Nachdem wir die Fahrerdaten in unserer Kanzlei selbst ausgelesen haben, stellten wir fest, dass Anton A. am Tag der Kontrolle zwar mit dem angeführten Kennzeichen unterwegs war, allerdings an den Tagen, an denen die vermeintlichen Übertretungen stattgefunden hätten, die beiden Kennzeichen W-2222GT und W-3333GT (beide fiktive Kennzeichen) gelenkt hat. Diesen Formmangel brachten wir bei der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien vor und behob dieses in weiterer Folge das Straferkenntnis.

Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Nennung des konkreten Kennzeichens zwar nicht erforderlich sei. Wenn die Behörde jedoch im Straferkenntnis ein Kennzeichen anführt, so beschränkt sie das Verfahren auf dieses konkrete Kennzeichen. Wird daher ein Kennzeichen angeführt, so muss dies jenes Kennzeichen sein, mit dem der Lenker am Tag der Übertretung unterwegs war und nicht jenes vom Tag der Kontrolle.

Einleitung eines weiteren Verwaltungsstrafverfahrens

Da zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch kein Jahr seit dem Datum der Übertretungen vergangen war, konnte die Behörde ein neuerliches Verwaltungsstrafverfahren gegen unseren Mandanten einleiten, in dem das Straferkenntnis anders formuliert wurde. Hierbei kam es jedoch zu einer großen Verwirrung und einem neuerlichen Formmangel.

Im ersten Verfahren brachten wir, wie oben beschrieben vor, dass zu den Zeitpunkten der Übertretungen nicht Anton A. das Fahrzeug mit dem Kennzeichen W-1111GT lenkte, sondern die beiden Lenker Bert B. und Conrad C. (beide fiktive Namen). Anton A. Lenkte wie bereits ausgeführt, die Fahrzeuge mit den Kennzeichen W-2222GT und W-3333GT.

Anstatt die Anlastung dahingehend zu korrigieren, dass Anton A. die Übertretung mit den Kennzeichen W-2222GT und W-3333GT begangen habe, warf die belangte Behörde unseren Mandanten nun vor, dass die beiden Lenker Bert B. und Conrad C. die Übertretungen begangen hätten. Dies war jedoch völlig sinnwidrig, da die Übertretungen auf der Fahrkarte von Anton A. und nicht auf den Fahrkarten der anderen Lenker festgestellt wurden.

Anders erklärt: anstatt sich weiterhin am Lenker Anton A. zu orientieren und das Kennzeichen zu korrigieren, orientierte sich die Behörde am Kennzeichen selbst und hängte die Verwaltungsübertretung jenen Lenker an, die zum Tatzeitpunkt mit dem Kennzeichen W-1111GT unterwegs waren.

Auflösung nach 2 Jahren

Bei der zweiten Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien nach über 2 Jahren bestand zunächst große Unklarheit darüber, wer nun mit welchem Kennzeichen gefahren ist und welche Übertretungen begangen habe. Nachdem wir gegenüber dem Verwaltungsgericht aufklärten, dass die Behörde unzulässigerweise den Vorwurf auf 2 völlig unbeteiligte Lenker umgestellt hat, wurde auch dieses Straferkenntnis ersatzlos behoben und das Verfahren endgültig eingestellt.

Dieses Verfahren zeigt erneut auf, dass jede Strafverfügung, auch wenn sie auf den ersten Blick noch so eindeutig und gerechtfertigt aussehen mag, stets durch einen ausgewiesenen Experten überprüft werden sollte, um allfällige Formmängel wie im konkreten Fall festzustellen. Diese schaffen in weiterer Folge eine gute Grundlage für die Anfechtung der Strafe. Zu beachten ist jedoch, dass im Verwaltungsstrafverfahren kein Kostenersatz auch im Falle des Obsiegens vorgesehen ist und die Abwehr solcher Strafen daher nur über eine spezielle maßgeschneiderte Rechtsschutz-Versicherung für den Güterbeförderer möglich ist, die die Vertretungskosten schlussendlich übernimmt. Die Erfolgsprüfung und Durchsicht Ihrer Strafverfügungen übernehmen wir jedoch jederzeit kostenlos.

Fazit Zusammenfassung:

** Verwaltungsstrafen die auf den ersten Blick als gerechtfertigt erscheinen, entlarven sich oftmals als formell unrichtig

** die Anführung des Kennzeichens bei Übertretungen gegen das AZG ist grundsätzlich nicht notwendig

** wird dennoch ein Kennzeichen angeführt, so muss es sich hierbei um das Kennzeichen handeln, das am Tag der Übertretung und nicht jenes, dass zum Zeitpunkt der Kontrolle gelenkt wurde

** ist seit dem Datum der Übertretung über ein Jahr vergangen, so tritt die Verfolgungsverjährung ein und können Formmängel nicht mehr saniert werden, sondern ist das Straferkenntnis aufzuheben

** viele Formmängel lassen sich erst nach einer umfangreichen Prüfung (Auslesung und Analyse der Fahrerdaten) durch einen ausgewiesenen Experten feststellen.

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Transporteur 06/2022 – PDF

Transporteur 06/22 – A. Miskovez – Mythos 80 % bei Storno

Was ist ein Storno?

Was im allgemeinen und täglichen Wortgebrauch als „Storno“ bezeichnet wird, ist gesetzlich als Rücktrittsrecht geregelt und bedeutet, dass eine der beiden Parteien nach Abschluss des Frachtvertrages von diesem zurücktritt. Bis auf § 428 Abs. 2 UGB finden sich in den sonderfrachtrechtlichen Bestimmungen (UGB, CMR) keine Regelungen zum Rücktritt, weshalb auf das allgemeine Zivilrecht (Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch – ABGB) zurückzugreifen ist. Demnach ist der Auftraggeber grundsätzlich berechtigt, jederzeit vom Vertrag zurückzutreten.

Anspruch auf Fracht

Macht der Auftraggeber von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch, bedeutet dies jedoch nicht, dass der Frachtführer „leer ausgeht“. Storniert der Auftraggeber den Frachtauftrag nämlich trotz Leistungsbereitschaft und fehlendem Verschulden des Frachtführers, bleibt der Anspruch des Frachtführers auf Bezahlung der Fracht aufrecht. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass sich der Frachtführer vom ursprünglich vereinbarten Frachtpreis dasjenige abziehen lassen muss, was er sich durch die Nichterfüllung des Auftrages erspart hat oder anderwärtig hätte erwerben können (§ 1168 ABGB).

Wird der Transportauftrag während der Anfahrt zur Landesstelle storniert, so erspart sich der Frachtführer beispielsweise die Benzinkosten und die Maut für den geplanten Transport. Diese Beträge sind daher von der vereinbarten Fracht in Abzug zu bringen.

Erfolgt die Stornierung etwa erst wenige Stunden nach Erteilung des Transportauftrages, ist es für den Transportunternehmer in der Regel problemlos möglich, einen Ersatztransport zum gleichen Preis zu organisieren. Ist der Lkw in diesem Fall noch nicht losgefahren, so ist dem Frachtführer regelmäßig gar kein Schaden entstanden und wird der Ersatzanspruch daher entsprechend gering ausfallen.

Beweisproblem in der Praxis

In der Praxis gestaltet sich die Einforderung von einem Storno-Schadenersatz oft als schwierig, da der Frachtführer den tatsächlich entstandenen Schaden darlegen muss und ein solcher Nachweis nur über genauere Kalkulationen und Sachverständigengutachten möglich ist. In Deutschland wurde die Situation insofern besser gelöst, als der Frachtführer nach deutschem Recht (§ 115 dHGB) das Wahlrecht zwischen Schadenersatz (wie in Österreich) oder einer pauschalen Entschädigung in Höhe eines Drittels der Fracht hat. In Deutschland kann der Frachtführer daher bei einer Stornierung, unabhängig davon, ob ihm tatsächlich ein Schaden entstanden ist,  pauschal ein Drittel der Fracht fordern.

80% über AGB möglich

In Österreich besteht weder eine gesetzliche Regelung noch ein Handelsbrauch darüber, dass dem Frachtführer im Falle einer Stornierung 80 % des Frachtpreises zustehen. Dennoch kann eine solche Zahlung in Höhe von 80 % der Fracht vereinbart werden. Eine solche Vereinbarung läuft nämlich nicht den gesetzlichen Regelungen des ABGB zuwider, sondern kann eine zulässige Pönalvereinbarung darstellen. Wird zwischen den Vertragsparteien daher beispielsweise in AGB vereinbart, dass im Falle eines Rücktritts eine verschuldensunabhängige Vertragsstrafe in Höhe von 80 % der Fracht zu bezahlen ist, so kann sich der Frachtführer auf diese Vereinbarung berufen und die Forderung geltend machen.

Fazit

„80% bei Storno“ bleibt weiterhin ein Mythos. Gesetzliche Grundlage oder Handelsbrauch gibt es hierfür keinen. Im Falle eines unverschuldeten Stornos hat der Frachtführer Anspruch auf Bezahlung der Fracht, muss sich jedoch anrechnen lassen, was er sich erspart hat. De facto bedeutet dies, dass der Frachtführer nur den tatsächlich entstandenen Schaden ersetzt bekommt. Unterliegt der Vertrag deutschem Recht, kann man statt den Schaden mühsam nachweisen zu müssen, pauschal ein Drittel der Fracht fordern. Die sinnvollste Variante für die alltägliche Praxis führt jedoch über AGB, in denen das Thema der Stornierung bereits im Vorfeld geregelt wird und in weiterer Folge unkomplizierter abgewickelt werden kann.

Transporteur 06/22 – A. Miskovez – Mythos 80 % bei Storno