Stragü 08/2019, Dr. Schärmer – Nacht-60er: Verfassungsgerichtshof sieht keine Rechtswidrigkeit

Seit August 2018 sind auf 2 Abschnitten der Westautobahn (A1) für PKWs Tempo 140 erlaubt. Laut neuestem Bericht des „Profil“ verläuft das Tempo-140-Projekt „sehr positiv“. Demnach habe sich die Zahl der Unfälle mit Personenschaden im niederösterreichischen Abschnitt von durchschnittlich 4,6 pro Monat auf 2,2 verringert. In Oberösterreich sei die Unfallzahl von monatlich 1,2 auf 0,5 gesunken. Darüber hinaus sei die Umweltbelastung nicht gestiegen, da an den Messstationen kein Einfluss der höheren Geschwindigkeit auf Feinstaub oder sonstige Grenzwerte festgestellt worden sei.

Daraus folgt, dass die Erhöhung des Tempolimits umweltfreundlicher ist und zu weniger Unfällen führt.

Wenn nun schnellere PKWs einen positiven Effekt haben, so stellt sich natürlich die Frage, wieso der Nacht-60er bei LKWs nicht aufgehoben wird. Für ein Tiroler Transportunternehmen haben wir zu dieser Frage den Verfassungsgerichtshof angerufen.

Nacht-60er für LKWs bleibt vorerst!

Weshalb PKWs also zukünftig schneller fahren sollen, LKWs in den Nachtstunden jedoch langsamer, bleibt weiterhin ein Mysterium. Dass die Umwelt durch den Nacht-60er stärker belastet wird und das Unfallrisiko erhöht wird, scheint irrelevant zu sein.

Einführung des Nacht-60ers in den 80er Jahren

Bereits in einer Verordnung aus dem Jahre 1989 wurde auf bestimmten Autobahnen Tempolimit 60 km/h für LKWs in den Nachtstunden eingeführt. Am 1.1.1995 trat die Bestimmung des § 42 Abs. 8 StVO in Kraft. Demnach durften LKWs mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t in der Zeit von 22:00 Uhr bis 5:00 Uhr nicht schneller als 60 km/h fahren. Ziel dieser Bestimmung war der Schutz der Bevölkerung vor Lärmemissionen. Seit Inkrafttreten der Norm sind jedoch 24 Jahre vergangen, in denen sowohl im Bereich der Nutzfahrzeug-Technik als auch im Bereich des Straßenbaus und der Lärmschutzarchitektur enorme Fortschritte erzielt wurden.

Bessere Lärmschutzmaßnahmen

Seit dem Jahr 1995 haben sich die Lärmemissionen eines LKWs drastisch verringert. Die heutige Bereifung ist um ein Mehrfaches leiser als jene aus dem Jahr 1995, es gab mehr Innovationen in Hinblick auf lärmarme Motoren in den letzten 24 Jahren, als in allen Jahren davor und im Vergleich zum Jahr 1995 wird heute lärmmindernder Asphalt verlegt, der enorm zur Lärmminimierung beiträgt. Darüber hinaus haben bauliche Lärmschutzmaßnahmen gehörig zugenommen und wurden auch Chassis und Führerhaus der LKWs insgesamt in den letzten Jahren vor allem durch Verwendung und Verbauung hochwertiger, Lärm reduzierender Materialien immer weiter optimiert, sodass das nach außen dringende Motorgeräusch wesentlich minimiert wurde. Eine Untersuchung des Umweltbundesamts vor bereits 5 Jahren hat ergeben, dass eine Erhöhung der Geschwindigkeit von 60 km/h auf 80 km/h während der Nachtstunden zu einer nur geringfügigen Erhöhung des Lärmpegels führen würde. Weiters könne man zur Erreichung eines niedrigeren Lärmpegels während der Nachtstunden das Tempolimit für PKWs auf 110 km/h herunter setzen, denn bei einem Verhältnis von 110 km/h (Pkw) zu 80 km/h (LKW) entsteht gleich viel Lärm, wie bei einem Verhältnis von 130 km/h (Pkw) zu 60 km/h (LKW). Die vom Pkw ausgehenden Lärmemissionen, die nicht viel geringer sind als jene eines LKWs, scheinen dem Gesetzgeber jedoch nicht wichtig zu sein.

Weniger Unfälle bei 80 km/h

Die Verringerung der Lärmemissionen durch den Nacht-60er wird zudem mit einer erheblichen Gefährdung der Verkehrssicherheit „erkauft“. Zum einen ist das Fahren über weite Strecken mit einer Geschwindigkeit von maximal 60 km/h monoton und ermüdend, sodass es aufgrund ermüdungsbedingter Konzentrationsmängel vermehrt zu Unfällen kommt. Zum anderen ergibt sich beim Vergleich der PKW-Geschwindigkeit von 140 km/h und der LKW-Geschwindigkeit von 60 km/h eine Differenz von 80 km/h. Dieser enorme Geschwindigkeitsunterschied stellt eine erhebliche Gefahr für sich annähernde PKWs, deren Lenker – gerade bei den in der Nacht üblicherweise schlechteren Sichtverhältnissen – unter Umständen nicht rasch genug reagieren können, um rechtzeitig abzubremsen. Ein vom Kuratorium für Verkehrssicherheit erstelltes Gutachten zeigt deutlich, dass mit der Aufhebung des Nacht-60ers, eine signifikante Senkung der Unfallrate erzielt werden kann. Dies würde auch aufgrund der geringeren Geschwindigkeitsdifferenz, zu einem verbesserten Verkehrsfluss und damit verbundener Reduzierung von bekanntlich besonders unfallträchtigen Überholmanövern führen. Auch der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis aus dem Jahre 2011 bereits ausgesprochen, dass die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen unterschiedlichen Fahrzeugen den Verkehrsfluss beeinträchtigt und damit die Verkehrssicherheit gefährdet. Die Aufhebung des Nacht-60ers würde somit auch zu einer erhöhten Verkehrssicherheit und Reduktion der Unfallanzahl beitragen.

Emissionsreduktion

Als der Nacht-60er im Jahre 1995 eingeführt wurde, waren Motoren der Klasse Euro I die neuesten LKW-Motoren auf dem Markt. Heutzutage sind aber Euro VI Motoren die neueste Innovation und sind die Emissionswerte dieser neuen Motoren, keinesfalls mit denen aus dem Jahre 1995 zu vergleichen. Laut einer Studie des ICCT, stoßen Dieselautos mit Euro 6 Motoren mehr als doppelt so viele Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus, als Euro 6 LKWs. Insgesamt sind PKWs, wenn man ihr geringes Gewicht im Vergleich zu jenem von LKWs betrachtet, um einiges umweltschädlicher als LKWs. In neuen LKWs macht der Katalysator bereits ein Siebtel des Kaufpreises aus und stellt somit einen der teuersten und technisch komplexesten Bestandteile des LKWs dar. Weiters würde auch die Aufhebung des Nacht-60ers zu einer Minimierung des Schadstoffausstoßes führen. LKWs sind auf eine Fahrtgeschwindigkeit von 80 km/h optimiert, was bedeutet, dass die Schadstoffbelastung der Umwelt bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h wesentlich höher ist. Die marginale Reduktion der Lärmemissionen führt daher im Gegenzug zu einer deutlichen Erhöhung der Schadstoffemissionen, die zudem viel längerfristige Auswirkungen, wie die Anreicherung von Luftschadstoffen in der Atmosphäre, Gesundheitsschäden durch Feinstaubpartikel, etc. haben. Aus dem Blickwinkel der möglichsten Reduzierung des Schadstoffausstoßes, welche jedenfalls zu den Zielen der Gesetzgebung im Bereich Umwelt und Verkehr zählt, ist der Nacht-60er jedenfalls kontraproduktiv und nicht geeignet. Genau aus diesem Grund haben wir es für notwendig erachtet, den Nacht-60er vor dem Verfassungsgerichtshof auf den Prüfstand zu stellen.

Verwaltungsstrafverfahren bis zum VfGH

Im Juni 2018 erhielt einer unserer Mandanten eine Strafverfügung, da er mit seinem LKW nachts die höchstzulässige Geschwindigkeit von 60 km/h überschritten hatte. Gegen diese Strafverfügung erhoben wir Einspruch, dennoch erging im Oktober 2018 ein Straferkenntnis, in dem unserem Mandanten eine Strafe aufgetragen wurde. Gegen dieses Straferkenntnis erhoben wir Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol, welches in seinem Erkenntnis im Jänner 2019 die Strafe nicht aufhob. Daraufhin wurde eine Beschwerde beim VfGH eingebracht. Der VGH lehnte allerdings die Behandlung der Beschwerde ab. Der VfGH stütze dabei auf eine Entscheidung aus dem Jahre 1993. In der Entscheidung aus dem Jahre 1993 wurde die Zulässigkeit des Nacht-60ers ebenfalls bejaht, da die Vermeidung von Störungen durch Lärm zum Staatsziel erklärt wurde, und der Nacht-60er dazu dient, dieses Ziel zu verwirklichen. Damals waren LKWs jedoch noch um ein Vielfaches lauter, und Maßnahmen zur Lärmminimierung unterentwickelt. Desto unverständlicher ist es nun, dass das Höchstgericht auf eine Entscheidung stützt, die den Stand der Technik aus dem Jahre 1993 berücksichtigt. Die Argumente der Verkehrssicherheit und Emissionsreduktion blieben unbeachtet. Diese Entscheidung bedeutet nun, dass vorerst keine Änderungen hinsichtlich des Nacht-60ers seitens der Rechtsprechung zu erwarten sind. Die einzige Hoffnung liegt daher nun beim Gesetzgeber. Die Tatsache, dass die Aufhebung des Nacht-60ers zu weniger Unfällen und zu einer sauberen Umwelt führen würde, darf nicht weiter außer Acht gelassen werden.

Zusammenfassung:

  • Der Nacht-60er wurde von uns bis zum Höchstgericht auf den Prüfstand der Rechtsprechung gestellt.
  • Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der Beschwerde aber in letzter Instanz mit der Begründung abgelehnt, dass es dazu bereits eine Entscheidung aus dem Jahr 1993 gibt.
  • Aus unserer Sicht ist dieses zu akzeptierende Ergebnis bedauerlich, zumal sich die Bedingungen seit dem Jahr 1993 grundlegend geändert haben.
  • Da der Rechtsweg zur Bekämpfung des Nacht-60er leider nicht den erwarteten Erfolg gebracht hat und damit der Instanzenzug ausgeschöpft wurde, bleibt die Hoffnung, dass zumindest der Gesetzgeber möglichst bald eine Änderung der Rechtslage herbeiführt.
  • Nähere Informationen zur Entscheidung: Verfassungsgerichtshof E 770/2019-5 vom 11. Juni 2019

Stragü 08/19 – PDF