Transporteur 04/23 – Dr. Schärmer – Fahrerflucht – vom Schaden nichts bemerkt …

Anders als bei einem Pkw ist beispielsweise ein leichtes Streifen eines Zauns, einer Mauer oder anderer Fahrzeuge mit dem Lkw in den wenigsten Fällen für den Fahrer akustisch wahrnehmbar oder spürbar. Der entstandene Schaden wird in den meisten Fällen von der Haftpflichtversicherung reguliert. Unangenehm wird es für den Fahrer jedoch dann, wenn zusätzlich auch eine Verwaltungsstrafe wegen Fahrerflucht in Haus kommt. Wann dem Fahrer tatsächlich ein Verschulden vorzuwerfen und die Verwaltungsstrafe somit gerechtfertigt ist, haben wir auf einen Blick für Sie zusammengefasst.

Wann liegt Fahrerflucht vor?

Was im allgemeinen Sprachgebrauch als „Fahrerflucht“ bezeichnet wird, stellt rechtlich gesehen eine Kette an gesondert strafbaren Verwaltungsübertretungen dar. Gemäß § 4 Abs. 1 StVO haben alle Personen, die ein Fahrzeug lenken und deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichen Zusammenhang steht, sofort anzuhalten (Abs. 1 lit. a).
Weiters haben alle Personen an der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken

(Abs. 1 lit. c).
Kommt es beim Verkehrsunfall darüber hinaus zur Verletzung von Personen, ist Hilfe zu leisten und wenn eine Person hierzu nicht fähig ist, unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen. Auch die nächste Polizeidienststelle ist zu verständigen

(Abs. 2).
Kommt es bei dem Verkehrsunfall nur zu einem Sachschaden, ist ebenfalls die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen (Abs. 5).

Der Fahrer ist nicht automatisch von der Schuld befreit, wenn er vom Unfall nichts mitbekommt.

Gleich mehrere Strafen Bemerkt ein Lenker daher von einem Verkehrsunfall nichts und fährt deshalb weiter, so bekommt er oft mehrere Strafen, da gleichzeitig sowohl gegen § 4 Abs 1 lit. a) StVO (nicht sofort anhalten) als auch gegen § 4 Abs 1 lit. c) StVO (keine Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes) und § 4 Abs 5 StVO (keine Verständigung der nächsten Polizeidienststelle) verstoßen werden kann. Die Strafe wird hierbei auch schnell teuer, da pro Verstoß eine Strafe von bis zu 2.180 Euro (bei nicht Anhalten und Mitwirken) bzw. 726 Euro (unterlassene Verständigung der Polizei) droht. Die Frage, die sich bei derartigen Prozessen jedoch immer stellt, ist, ob der Fahrer den Unfall überhaupt bemerkt hat. Kommt es etwa zu einer Massenkarambolage auf einer Autobahn, so ist dies regelmäßig der Fall. Bei einer großen Anzahl an Fällen streift ein Fahrer jedoch beim Kurvenfahren oder Reversieren mit seinem Heck an anderen Gegenständen oder Fahrzeugen und bemerkt von dem Schaden tatsächlich nichts.

Muss der Fahrer etwas merken?

Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht ist einerseits zumindest der Eintritt eines Sachschadens und andererseits das Wissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens. Konsequenterweise würde dies dazu führen, dass ein Fahrer immer dann von der Haftung befreit wäre, wenn er darlegt, dass er nichts vom Unfall mitbekommen hat. Aus diesem Grund wurde die Wissentlichkeit vom Schaden von den Gerichten relativiert. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist daher dem Fahrer bereits dann ein Verschulden anzulasten, wenn ihm Umstände zu Bewusstsein kamen oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätten kommen müssen, die auf einen Unfall mit Sachbeschädigung hindeuten.

Hupen und Handzeichen

Zu beurteilen ist daher nicht schlichtweg, ob der Fahrer den Unfall bemerkt hat, sondern ob er ihn aufgrund der besonderen Situation hätte bemerken müssen. Dies ist etwa der Fall, wenn der Fahrer den Kontakt mit einem anderen Fahrzeug akustisch nicht wahrnimmt und auch nicht spürt, in weiterer Folge jedoch vom gegnerischen Lenker angehupt und durch Lichtsignale sowie Handzeichen darauf aufmerksam gemacht wird. In diesem Fall müsste der Lenker nämlich aufgrund der besonderen Umstände (Lichtsignale, Hupen, Handzeichen) bei gehöriger Aufmerksamkeit davon ausgehen, dass es zu einer Beschädigung gekommen sein könnte.

Umkehrmanöver

In besonderen Verkehrssituationen, wie etwa dem Durchfahren einer verengten Fahrbahn oder dem Reversieren sowie Einparken des Lkw, ist sogar eine erhöhte Aufmerksamkeit gefordert. Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat der Lenker eines Fahrzeugs während und nach riskanten Fahrmanövern, bei welchen die dringende Gefahr besteht, dass es zu einer Kollision mit einem anderen Straßenteilnehmer kommen kann, den Geschehnissen um sein Fahrzeug die volle Aufmerksamkeit zuzuwenden und sich zu vergewissern, dass sein Fahrverhalten nicht für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen ist. Unterlässt er dies, so führt auch sein Nichtwissen vom Unfall nicht zur Befreiung von der Schuld. Reversiert ein Lenker somit bei einem Parkvorgang zwischen anderen Autos ist er sogar dazu verpflichtet, nach Abschluss des Fahrmanövers kurz zu überprüfen,
ob es zu Beschädigungen gekommen ist. Wie ein aktueller Fall vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zeigt, wird auch von einem Fahrer, der in einer Siedlung ein Umkehrmanöver durchführt, verlangt, dass er nach dem Umkehrmanöver kurz aussteigt und sich davon überzeugt, dass rundherum nichts beschädigt wurde.

Nicht jede Strafe gerechtfertigt

Kommt es zur Fahrerflucht, so wird der Fahrer regelmäßig sowohl für die unterlassene Anhaltung (lit. a) als auch für die unterlassene Mitwirkung (lit. c) bestraft. Wie ein aktuelles Urteil des Landesverwaltungsgerichts belegt, ist dies jedoch nicht immer zulässig. Denn die in § 4 Abs. 1 lit. c StVO normierte Verpflichtung an der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken, dient offenkundig dem Zweck, den Organen der öffentlichen Sicherheit die Aufnahme des Tatbestands zu erleichtern und zu ermöglichen. Diese Verpflichtung besteht somit nur dann, wenn es überhaupt zu einer amtlichen Aufnahme des Tatbestands kommt oder kommen muss (beispielsweise bei Unfall mit Personenschaden). Es lohnt sich daher, die Rechtsmäßigkeit der vorgeworfenen Übertretungen rechtlich prüfen zu lassen.

AUF EINEN BLICK

  • – Kommt es zu einem Verkehrsunfall, schreibt die StVO den Beteiligten eine ganze Reihe an Verpflichtungen vor
  • – Lenker haben demnach sofort anzuhalten und an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken
  • – In der Praxis kommt es oft vor, dass ein Lkw-Fahrer nichts vom Unfall bemerkt
  • – Für die Strafbarkeit ist grundsätzlich zumindest ein fahrlässiges Verhalten notwendig
  • – Der Fahrer ist jedoch nicht automatisch von der Schuld befreit, wenn er vom Unfall nichts mitbekommt
  • – Insbesondere wenn der Fahrer aufgrund der Umstände mitbekommen musste, dass ein Unfall eingetreten sein könnte, ist von einem Verschulden auszugehen
  • – Bei gefährlichen, riskanten oder schwierigen Fahrmanövern muss der Fahrer sich zudem nach dem Fahrmanöver davon überzeugen, dass es tatsächlich zu keinem Schaden gekommen ist.

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