Transporteur 01/21, Dr. Schärmer – Vorsicht – Neutralisierungsfalle

Grundsätzliches zur Neutralisierung

Bei der Neutralisierung von Frachtbriefen, handelt es sich um ein Verfahren, bei dem entweder der Versender oder der Empfänger bzw. deren Adressen im Frachtbrief nicht aufscheinen (neutralisiert werden), um wichtige Handelsinformationen nicht weiterzugeben. Bei einem Streckengeschäft werden somit beispielsweise Ladepapiere und Frachtbriefe ausgetauscht, damit ein Zwischenhändler die Aufdeckung seiner Bezugsquellen und Einkaufskonditionen gegenüber dem Endabnehmer verhindern kann (vgl. 7 Ob 219/13a; 7 Ob 89/08a = SZ 2008/54). Das Neutralisieren von Frachtbriefen stellt eine übliche und jedenfalls nicht sittenwidrige Vereinbarung dar, bei der jedoch eine Schadenersatzpflicht des Spediteurs bestehen kann. Eine Neutralisierungsvereinbarung mit dem Spediteur stellt auch keinen unüblichen sittenwidrigen Vertrag dar (OGH 7 Ob 219/13a)

In diesem Zusammenhang wird dem beauftragten Spediteur bzw. dem Aussteller des Fachbriefes aufgetragen, gewisse Informationen im Frachtbrief nicht aufscheinen zu lassen.
Obwohl die Neutralisierung (in rechtlicher Hinsicht) an sich zulässig ist und kein sittenwidriges gesetzwidriges Geschäft darstellt, entstehen vielfältige Probleme in der täglichen Praxis, die aber auf die unrichtige Handhabung des Frachtbriefes, auf unklare Instruktionen gegenüber dem Unterfrachtführer und auf Schlampereien/Überforderung durch die ausführenden Lkw-Fahrer zurückzuführen sind; derartige Umstände sind aber aufgrund des Einsatzes von mehreren (meist ausländischen und schwach ausgebildeten) Unterfrachtführern/Lkw-Fahrern sehr schwer verhinderbar.

Das weit größere Problem bei Neutralisierungsaufträgen liegt somit in der Transportpraxis selbst, da es bei neutralisierten und somit nicht der Realität entsprechenden Frachtbriefen oft zu behördlichen Zwangsmaßnahmen bei der Kontrolle der LKWs bis hin zu Beschlagnahmen kommen kann.

Neutralisierung aus Sicht der CMR

Art. 4 CMR normiert zwar, dass ein Frachtbrief auszustellen ist, jedoch regelt die CMR nicht, wer verpflichtet sein soll, den Frachtbrief auszustellen und entspricht es somit der herrschenden Ansicht, dass auch nach den Vorschriften der CMR keine Pflicht zur Ausstellung eines Frachtbriefes besteht (OGH 7 Ob 219/13a).

Ein Beförderungsvertrag kommt nämlich auch dann wirksam zustande, wenn kein Frachtbrief ausgestellt wurde.

Die wesentlichen Funktionen des Frachtbriefes liegen einerseits in der Information über die beteiligten Parteien, sowie über die beförderten Güter und andererseits in der Beweiswirkung in Hinblick auf die Übernahme der Güter durch den Frachtführer und deren Ablieferung.
Obwohl Art. 5 und 6 CMR umfangreiche inhaltliche Voraussetzungen für den Frachtbrief vorsehen, wie insbesondere Name und Anschrift des Absenders, Frachtführers und Empfängers, sowie Ort und Tag der Übernahme der Güter und den vorgesehenen Ablieferort etc., führt ein Fehlen dieser Informationen nicht zu einer Unwirksamkeit des Frachtbriefes, sondern verhindert nur die Entstehung bestimmter Beweiswirkungen. Die einzige tatsächliche Wirksamkeitsvoraussetzung ist die Unterzeichnung des Frachtbriefes durch den Absender und den Frachtführer.

Die CMR sieht grundsätzlich 2 Parteien des Frachtvertrages vor, nämlich den Absender und den Frachtführer. Als Absender ist somit immer der Vertragspartner (Auftraggeber) des Frachtführers anzusehen. In der Praxis entstehen jedoch beim Ausfüllen des Frachtbriefes oft Schwierigkeiten, da der Transportauftrag mehrmals an Subunternehmer weitergegeben wird. Wird somit von einem Versender ein Spediteur beauftragt, welcher den Transportauftrag wiederum an einen Hauptfrachtführer weitergibt und dieser schließlich den ausführenden Frachtführer beauftragt, so entsteht die Frage, wer nun im Frachtbrief als Absender anzuführen ist.

Diese Konstellation ist mit einem einzigen Frachtbrief auf korrekte Weise in der Praxis tatsächlich nicht zu lösen. Vielmehr müsste in jedem einzelnen Vertragsverhältnis ein gesonderter Frachtbrief ausgestellt werden, in dem der Auftraggeber als Absender aufscheint und der Auftragnehmer als Frachtführer. In Bezug auf den obigen Fall, müsste somit ein Frachtbrief für den Transportauftrag zwischen dem Versender (Absender) und dem Spediteur (Frachtführer) ausgestellt werden. In weiterer Folge ein zusätzlicher Frachtbrief zwischen dem Spediteur (in Bezug auf seinen Auftragnehmer nun Absender) und dem Hauptfrachtführer (Frachtführer) und so weiter. Eine solche Dokumentation wäre der einzige Weg um die tatsächliche Vertragslage und Auftragssituation in Frachtbriefen zu belegen; ein solches Vorgehen ist jedoch aus praktischer Sicht mit einem immensen Aufwand verbunden und de facto nicht zu bewerkstelligen und somit als praxisfremd zu beurteilen.

Aus diesem Grund wird üblicherweise lediglich ein Frachtbrief ausgestellt, der die Auftragslage zwischen dem Aussteller und seinem Vertragspartner darstellt.

Unbeschränkte und verschuldensunabhängige Haftung des Frachtbriefausstellers/Absenders

Absender im Sinne der CMR ist immer derjenige, der Vertragspartner des Frachtführers ist. Dieser Umstand wird in der Praxis oft verkannt. Absender ist nämlich nicht der tatsächliche Verlader, sondern der Vertragspartner und Auftraggeber des Frachtführers. In der Praxis werden Frachtbriefe unrichtig erstellt, da die Absenderposition (formalrechtlich) oft nicht richtig behandelt wird. Meist wird als Absender nämlich jenes Unternehmen eingetragen, dass die Ware verladen hat.

Art. 7 CMR regelt die Folgen unvollständiger oder unrichtiger Angaben im Frachtbrief. Demnach haftet der Absender dem Frachtführer gegenüber insbesondere für die unrichtigen oder unvollständigen Angaben von Absender und Empfänger, Tag und Ort der Übernahme des Gutes, Bezeichnung, Anzahl und Gewicht des Gutes, sofern hieraus ein Schaden entsteht.

Hinzu kommt die Verschärfung, dass die Haftung des Absenders verschuldensunabhängig ist. Den Frachtführer trifft im Übrigen keine Pflicht die Eingaben des Absenders im Frachtbrief zu überprüfen. Nur bei ganz offenkundig falschen Angaben könnte ein Mitverschulden des Frachtführers in Betracht kommen.

Die Haftung des Absenders ist im Übrigen betraglich unbegrenzt, sodass wegen unrichtigen und unvollständigen Eintragungen im Frachtbrief sämtliche Güter- und Vermögensschäden, einschließlich entgangenen Gewinns an den Frachtführer zu bezahlen wäre.

In den vergangenen Monaten hatten wir mehrere Fälle in Italien im Zusammenhang mit neutralisierten oder unrichtigen Frachtbriefen; dort hat die italienische Exekutive den Lkw für mehrere Wochen abgestellt, ein Strafverfahren eingeleitet und eine hohe Strafe über den Transporteur verhängt (Verhängung einer Zwangsmaßnahme), da der Frachtbrief vom beauftragenden Spediteur falsch ausgestellt wurde. In derartigen Fällen haftet der Spediteur (als Absender) unbegrenzt gegenüber dem Frachtführer für sämtliche Schäden (hier: Stehzeiten, entgangener Gewinn, Strafen, Rechtsvertretungskosten etc.).

Darüber hinaus gibt es immer wieder Fälle von behördlichen Beschlagnahmungen, wenn Frachtbriefe nicht den tatsächlichen Gegebenheiten des Transports entsprechen und beispielsweise der Absender ausgetauscht wird (Neutralisierung).

Neutralisierung aus verwaltungsstrafrechtlicher Sicht

Unrichtige und unvollständige Angaben in den Frachtbriefen sind auch aus verwaltungsstrafrechtlicher Sicht problematisch.

  • 17 GütbefG normiert, dass in jedem zur gewerbsmäßigen Beförderung von Gütern verwendeten Kraftfahrzeug während der gesamten Beförderung Belege mitzuführen sind, aus denen das beförderte Gut, der Be- und Entladeort und der Auftraggeber ersichtlich sind.

Aus dieser Vorschrift ergibt sich zwar keine Verpflichtung zur Mitführung eines Frachtbriefes (auch jedes sonstige Dokument wäre zulässig), jedoch bildet der Frachtbrief häufig das einzige Dokument das als Beleg dienen kann. Werden somit keine zusätzlichen Lieferscheine mitgeführt, aus denen die oben genannten Informationen hervorgehen und ist der Frachtbrief neutralisiert bzw. unrichtig ausgestellt, sind verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen zu erwarten.

Die in § 17 GütbefG angeführten Belege müssen nämlich den tatsächlichen Be- und Entladeort sowie den tatsächlichen Auftraggeber enthalten. Bei einem neutralisierten Frachtbrief, fehlen eben diese Angaben, bzw. sind diese unrichtig und stellen nicht die tatsächliche Situation dar. Ein neutralisierter Frachtbrief stellt somit keinen ordnungsgemäßen Beleg im Sinne des § 17 GütbefG dar.

Eine verwaltungsstrafrechtliche Bestrafung kann bei einem Transport mit einem neutralisierten Frachtbrief dadurch umgangen werden, dass dem Frachtführer zusätzliche Dokumente wie etwa Lieferscheine, welche die korrekten/vollständigen Angaben über den Transport enthalten, mitgegeben werden. Der Frachtführer hätte diese Belege dann nur zum Zwecke der Verkehrskontrollen mit sich und dürfte diese dem Empfänger nicht übergeben, da die Neutralisierung andernfalls zwecklos wäre.

Theorie und Praxis fallen aber auseinander. Die Praxis zeigt uns auch hier laufend, dass die Lkw-Fahrer meist nicht richtig instruiert werden und oft dann nicht in der Lage sind von mehreren Transportdokumenten (ausschließlich) das richtige Dokument der Exekutive vorzulegen. Eine Polizeikontrolle läuft in der Regel so ab, dass ein Polizist den Lkw-Fahrer auffordert, „den CMR“ vorzulegen. Der Fahrer, der meist der deutschen oder der Sprache des Kontrollorgans Sprache nicht mächtig ist, greift dann direkt zum neutralisierten CMR oder übergibt sämtliche Transportdokumente dem Polizisten (Lkw-Kontrollen sind immer eine Stresssituation für den Fahrer). Dies sind dann jene Fälle, aus denen die immer wieder vorkommenden Zwangsmaßnahmen, Strafen oder Beschlagnahmen resultieren.

Neutralisierung aus steuerrechtlicher Sicht

Grenzüberschreitende Lieferungen in Mitgliedstaaten der EU (innergemeinschaftliche Lieferungen) sind unter gewissen Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit. Diese Steuerbefreiung ist jedoch an strenge Voraussetzungen geknüpft, welche von dem liefernden Unternehmer gegenüber der Finanzverwaltung nachgewiesen werden müssen.

Um somit bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung von der Umsatzsteuer befreit zu sein, müssen entsprechende Belege erbracht werden.

In der Praxis wird der Frachtbrief häufig als Beleg für eine innergemeinschaftliche Lieferung benutzt. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass der Frachtbrief nur dann einen tauglichen und wirksamen Beleg für eine innergemeinschaftliche Lieferung darstellt, wenn dieser ordnungsgemäß ausgestellt wurde.

Bei der Beurteilung, ob ein Frachtbrief ordnungsgemäß ausgestellt wurde, wird auch von den Steuerbehörden die CMR herangezogen. Gerade bei neutralisierten Frachtbriefen fehlen wesentliche Angaben bzw. sind diese oft unrichtig (anstatt des Absenders wird das verladende Unternehmen eingetragen). Obwohl die CMR das Fehlen solcher Angaben selbst nicht sanktioniert, können negative Auswirkungen entstehen, wenn ein neutralisierter Frachtbrief als Nachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen verwendet wird.

Die Rechtsprechung hat bereits in zahlreichen Fällen einem Frachtbrief, in dem beispielsweise der falsche Absender angeführt wurde, keine Belegfunktion für innergemeinschaftliche Lieferungen zuerkannt und diesen für unwirksam erklärt (BFH, Urteil vom 22. Juli 2015, V R 38/14). In einem solchen Fall wird die Steuerbefreiung versagt und muss die Umsatzsteuer entrichtet werden, da kein entsprechender Nachweis für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erbracht wurde.

Darüber hinaus ist auch festzuhalten, dass im Worst Case die Verwendung eines nicht ordnungsgemäßen Frachtbriefes für die Steuerbefreiung finanzstrafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Die strafrechtliche Konsequenz ist daraus abzuleiten, dass die Steuerfreiheit durch das Vorlegen einer unrichtigen und ungeeigneten Urkunde (neutralisierter Frachtbrief) erlangt wird. Diese Probleme werden aber meist nur den Käufer oder Verkäufer der Ware betreffen.

Da jedoch, wie bereits oben ausgeführt, auch andere Dokumente, wie insbesondere Lieferscheine als Nachweis für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verwendet werden können, empfiehlt es sich einen neutralisierten Frachtbrief gar nicht erst als Beleg vorzulegen, sondern eben solche anderwärtigen Dokumente zu verwenden, die die tatsächliche Auftragslage widerspiegeln. Würde man neutralisierte Frachtbriefe als Nachweis für innergemeinschaftliche Lieferungen verwenden, so bestünde immer die Gefahr, dass dieser Nachweis als unwirksam erklärt wird, und die Steuerbefreiung entfällt.

Transporteur 02/21 – PDF