Stragü 06/2018, Dr. Schärmer – Kontrollen Mindestlohn

Zunehmende Kontrollen auf österreichischen und deutschen Autobahnen im Bereich Mindestlohn sind spürbar.

Die in letzter Zeit auftretenden Anfragen, insbesondere von deutschen Behörden, sind im Einzelfall zu hinterfragen und anwaltlich prüfen zu lassen. So sind Anfragen von deutschen Zollbehörden „zur Prüfung von mobilen Tätigkeiten“ in den letzten Monaten keine Seltenheit mehr. In einem konkreten Fall wird ein Transportunternehmer mit Sitz außerhalb von Deutschland von der Zollbehörde aufgefordert, für alle Arbeitnehmer, die der Transportunternehmer nach Deutschland entsendet hat Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen, Nachweise über die Zahlung der Löhne, Arbeitsaufzeichnungen sowie Name und Anschrift der jeweiligen Auftraggeber für einen bestimmten Zeitraum der Behörde zu überlassen. In dieser Aufforderung wurde gleichzeitig gedroht, dass bei einer Verletzung der Auskunftspflicht eine Geldbuße bis zu 30.000 Euro droht. Die Zollbehörde stützt sich dabei auf die vom Transportunternehmer abgegebene Einsatzplanung und begründet die Aufforderung zur Vorlage dieser Unterlagen wie folgt:

AUFFORDERUNG

„Da die Meldepflicht für den reinen Transitverkehr derzeit ausgesetzt ist, sie gleichwohl eine Einsatzplanung nach der Mindestlohnmeldeverordnung abgegeben haben, gehe ich davon aus, dass Sie Ihre Arbeitnehmer im Kabotageverkehr oder im grenzüberschreitenden Straßenverkehr mit Be- oder Entladung beschäftigt haben. In der Einsatzplanung haben Sie als Ort, an dem die zur Kontrolle der Zahlung des allgemeinen Mindestlohns erforderlichen Unterlagen bereitgehalten werden müssen, einen Ort außerhalb Deutschlands angegeben und gleichzeitig versichert, dass Sie diese Unterlagen auf Aufforderung in deutscher Sprache in Deutschland den Behörden der Zollverwaltung zur Verfügung stellen.“ (Zitat aus der Aufforderung des Hauptzollamtes).

RECHTSWIDRIG?

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 8.2.2018 (wegen eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung) ausgeführt, dass vieles für eine Rechtswidrigkeit einer derartigen Prüfungsverfügung sprechen würde. Es ist nämlich fragwürdig, ob die Behörde überhaupt berechtigt ist, zu prüfen, ob in einem bestimmten Zeitraum Mitarbeiter eines Transportunternehmens tatsächlich nur im Transitverkehr oder allenfalls doch im Straßengüterverkehr mit Be- oder Entladung in Deutschland bzw.im Kabotageverkehr beschäftigt worden sind. Die betreffende Entscheidung ist im Internet auf der Homepage der „DVZ Deutsche Verkehrs Zeitung“) unter folgendem Link abrufbar: https://www.dvz.de/rubriken/managementrecht/detail/news/mindestlohnbei-kabotage-europarechtswidrig.html#gallery-74133. Die Entscheidung ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da es sich nicht um eine endgültige Entscheidung handelt, die sich inhaltlich mit dem Mindestlohngesetz eingehend auseinandergesetzt hat.

„GLEICHE LEBENSVERHÄLTNISSE“

Kürzlich erging auch eine Entscheidung eines Amtsgerichtes in Deutschland zur Thematik des Mindestlohnes, die durch einige Fachzeitschriften publik wurde. Das Amtsgericht Weißenburg führte mit Endurteil vom 11.8.2017 (AZ: 1 C 435/16) aus, dass das Mindestlohngesetz gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßen würde und ein vertragliches Zurückbehaltungsrecht darauf nicht gestützt werden könne. Im wesentlichen liege, nach Ansicht des Amtsgerichtes, „der Schutzzweck des MiLoG darin, gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland und ein entsprechendes soziales Schutzniveau durch Zahlung eines Mindestlohnes zu schaffen; bei kurzfristigen Tätigkeiten eines im Ausland ansässigen Arbeitnehmers sei dies aber nicht erforderlich. Der Lebensstandard richte sich nach den Lebenshaltungskosten in dessen jeweiligen Heimatland. Diese seien bezogen auf Polen deutlich niedriger.“ Die beklagte Partei im gegenständlichen Verfahren hat das Rechtsmittel der Berufung zurückgenommen, weshalb es offenbar auch in diesem Verfahren nicht zu einer inhaltlichen Prüfung durch ein Berufungsgericht gekommen ist. Das Urteil des Amtsgerichtes Ansbach kann daher nicht als Leitentscheidung betrachtet werden und ist keine Bindungswirkung daraus abzuleiten! Das Urteil zeigt aber, dass sich die Gerichte erfreulicherweise zunehmend kritisch mit den Bestimmungen des Mindestlohngesetzes auseinandersetzen.

ANRECHNUNGSMÖGLICHKEIT?

Bedauerlicherweise ist nach wie vor leider ungeklärt, ob freiwillige Überzahlungen (sogenannte Diätenaufschläge) dem Mindestlohn zugerechnet werden können. Es spricht zwar vieles dafür, dass dies zulässig sein müsste, eine klare Bestätigung seitens des Sozialministeriums (BMASK) ist aber nach wie vor ausständig. Unsere mehrfachen Anläufe mit namhaften Vertretern der Transportwirtschaft eine Klarstellung seitens des BMASK zum Zwecke der Rechtssicherheit zu erhalten sind nach wie vor unbeantwortet. Die Hoffnung stirbt aber bekanntlich immer zuletzt, da die Zusammenarbeit in der Vergangenheit mit dem BMASK im Zusammenhang mit dem LSD-BG als positiv zu bewerten war. Ersten Pressemeldungen zufolge wurde vor wenigen Tagen mit großer Mehrheit eine Reform der sogenannten EU-Entsenderichtlinie beschlossen. Die Mitgliedstaaten haben eine Umsetzungsverpflichtung bis Mitte 2020. Die neuen Regeln sehen vor, dass ins Ausland entsandte Arbeitnehmer den gleichen Lohn bekommen und unter den gleichen Bedingungen arbeiten sollen, wie die inländischen Arbeitnehmer. Ausnahmen soll es allerdings für Lkw-Fahrer geben. So ist derzeit nicht vorgesehen, dass Lkw-Fahrer jenen Lohn erhalten sollen, den Lkw-Fahrer in jenem Land erhalten, das sie gerade mit dem Lkw durchqueren (z.B. im Transitverkehr).

Die Mindestlohn-Vorschriften im Detail
ERKLÄRUNG

Seit 1.1.2017 gelten die geänderten Bestimmungen des Lohnund Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG). Mit 1.6.2017 wurden Erleichterungen für die Transportwirtschaft durch eine ergänzende Bestimmung (§ 19 Abs. 7 LSD-BG) gesetzlich eingeführt. Diese Bestimmung soll die Besonderheiten in der Transportwirtschaft berücksichtigen. Seit dieser Novelle ist in der Transportwirtschaft zunächst wieder Ruhe eingekehrt. Das deutsche Mindestlohngesetz trat am 1. Januar 2015 in Kraft. Es gilt auch für Unternehmen mit Sitz außerhalb Deutschlands, die Dienstleistungen in Deutschland erbringen. Das deutsche Mindestlohngesetz gilt nach wie vor unverändert, wobei die Kontrollen für Transitfahrten ausgesetzt wurden.

ANWENDUNG UMSTRITTEN

Die Europäische Kommission hat sowohl gegen Österreich (2017) als auch gegen Deutschland (2015) ein Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit der Anwendung des österreichischen Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSD-BG) auf dem Kraftverkehrssektor bzw. des deutschen Mindestlohngesetzes eingeleitet. Die Kommission ist der Ansicht, dass durch diese Praxis der EU-Binnenmarkt unverhältnismäßig stark einschränkt wird. Nach Ansicht der Kommission lässt sich die Anwendung der österreichischen Vorschriften auf grenzüberschreitende Beförderungsleistungen insbesondere dann nicht rechtfertigen, wenn diese keinen hinreichenden Bezug zum österreichischen Hoheitsgebiet aufweisen, weil dadurch unangemessene Verwaltungshürden geschaffen werden, die ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts behindern. Eine Entscheidung zu den Vertragsverletzungsverfahren steht leider immer noch aus.

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