Transporteur 05/23 – Dr. Schärmer & Mag. Miskovez – „SELBSTSTÄNDIGE“ LKW-FAHRER – Lohndumping: Haftung des Auftraggebers

Obwohl es EU-weit grundsätzlich ausreichend Vorschriften und Gesetze zum Schutz dieser Fahrer gäbe, werden diese offenbar nicht effektiv exekutiert. Kontrolliert wird im Transport zwar viel, aber offensichtlich nicht immer dort, wo es sinnvoll ist. Die Folge: Lkw-Fahrer sehen als letzten Ausweg, sich dagegen aufzulehnen, wie jüngste Medienberichte eindrucksvoll zeigten.

Fahrer als Unternehmer

Mittlerweile ist es bei vielen ausländischen Unternehmen nicht unüblich geworden, dass Lkw-Fahrer nicht ordnungsgemäß als Arbeitnehmer angestellt, sondern als „selbstständige Unternehmer“ beauftragt werden. Die Hintergründe sind klar: Zumeist wird versucht, die hohen Kosten und Pflichten eines ordentlichen Beschäftigungsverhältnisses zu umgehen und möglichst viel Risiko auf den Fahrer zu überwälzen. Anstatt einen Fahrer ordnungsgemäß anzustellen, registriert sich der Fahrer als selbständiger Unternehmer, dessen Unternehmensgegenstand das Lenken von Lastkraftfahrzeugen ist. Das Transportunternehmen beauftragt den „selbstständigen“ Fahrer dann als Unternehmer mit der Erbringung von Lenkleistungen. Was solche Fahrer von tatsächlichen selbstständigen Unternehmern unterscheidet, ist dass diese oft über keinerlei eigene Betriebsmittel verfügen und ein erhebliches Abhängigkeitsverhältnis zum Transportunternehmer besteht. Durch diese Konstruktion werden nicht selten auch Abgaben und Steuern umgangen. Auch gilt ein selbständiger Unternehmer grundsätzlich nicht als mobiler Arbeitnehmer im Transportbereich im Sinne der Entsendevorschriften. Durch den Einsatz von solchen „selbstständigen Fahrern“ versuchen Unternehmen daher auch, sich den Sozialvorschriften, wie insbesondere jene des Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetzes (LSD-BG), zu entziehen. Die aktuelle gesetzliche Entwicklung in der EU soll einem solchen Vorgehen jedoch einen strengen Riegel vorschieben und so werden derartige Vertragsverhältnisse in vielen Fällen als Umgehungsgeschäfte und die Fahrer als Scheinselbstständige qualifiziert. In diesem Fall sind die Fahrer wie Arbeitnehmer zu behandeln.

Konsequenzen

Stellt sich heraus, dass eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, so hat der Transportunternehmer mit rechtlichen und finanziellen Konsequenzen zu rechnen. Auf diesen kommt dann etwa die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuern zu, da der Fahrer wie ein Arbeitnehmer zu behandeln ist. Aufgrund des neuen EU-Mobilitätspakets, der Novellierung des LSD-BG und den Neuerungen rund um die Sorgfaltspflichten bei Lieferketten, sollen vermehrt auch Auftraggeber, Spediteure und Versender mit in die Haftung genommen werden. Schließlich profitieren unter anderem auch diese, wenn auch nur indirekt, vom Lohndumping.

Scheinselbstständigkeit: Wann?

Einfach gesagt liegt Scheinselbstständigkeit vor, wenn eine Person zwar als selbständiger Unternehmer auftritt, allerdings die gleiche Arbeit verrichtet wie ein Arbeitnehmer und in einem weisungsgebundenen Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggeber/Arbeitgeber steht. Ein Scheinselbstständiger tritt daher zwar formell auf wie ein Unternehmer, er gleicht faktisch jedoch einem Arbeitnehmer. In der Praxis gestaltet sich die Abgrenzung zwischen einem Scheinselbstständigen und einem Unternehmer jedoch etwas komplexer. Insbesondere gibt es kein alleiniges und alles entscheidendes Kriterium, sondern sind in jedem Einzelfall stets die gesamten Umstände zu berücksichtigen. Die Behörden orientiert sich hierbei an einem Leitfaden und ziehen dann einen Schluss aus der Gesamtbetrachtung des Betriebs.

Die wichtigsten Unterscheidungskriterien haben wir auf einen Blick für Sie zusammengefasst:

  • Weisungsgebundenheit: hierbei wird untersucht, ob der Fahrer wie ein Arbeitnehmer weisungsgebunden ist und strikt nach Anweisung des Arbeitgebers handelt oder ob eigene unternehmerische Entscheidungen getroffen werden können. Hierunter fällt insbesondere auch, dass ein Auftrag bzw. ein Transport abgelehnt werden kann.
  • Arbeitszeiten: ein weiteres Unterscheidungskriterium zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern ist, dass letztere keine fixen Arbeitszeiten haben. Bei Scheinselbständigen werden somit oftmals fixe Arbeitszeiten oder Mindeststunden pro Woche vorgegeben, obwohl diese als Unternehmer auftreten. Auch der Umstand, ob der Fahrer einen Urlaubsanspruch hat, ist bedeutend.
  • Betriebsmittel: eines der wesentlichsten Kriterien ist, ob der Fahrer über eigene Betriebsmittel verfügt. Während ein Unternehmer nämlich eigene Betriebsmittel einsetzt, werden einem klassischen Arbeitnehmer sämtliche Betriebsmittel vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt. Hat ein Fahrer somit ein eigenes Fahrzeug, eigene Ausrüstung und Arbeitsgeräte, so ist dieser eher als Unternehmer zu qualifizieren, als ein Fahrer dem Fahrzeug,  Arbeitskleidung, Telefon etc. vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt oder an diesen vermietet werden.
  • Entlohnung: weiters muss auch auf die Entlohnung geachtet werden. Unternehmer werden oft werkvertraglich tätig und schulden somit einen bestimmten Erfolg. Die Bezahlung erfolgt meistens in einer Pauschale und wird davon abhängig gemacht, ob der Unternehmer seine Leistung ordnungsgemäß erbracht hat oder nicht. Arbeitnehmer werden andererseits nach Stunden bezahlt und wird die Bezahlung nicht vom Eintritt eines gewissen Erfolgs abhängig gemacht. Während Fahrer als Arbeitnehmer somit nach dem Kollektivvertrag pro Stunde bezahlt werden, erhält ein selbstständiger Unternehmer beispielsweise eine pauschal vereinbarte Fracht, wenn die Ware vereinbarungsgemäß abgeliefert wird.
  • Abhängigkeitsverhältnis: ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggeber ist ein weiteres Indiz für die Einstufung einer Tätigkeit als Arbeitsverhältnis. Wenn ein „selbstständiger“ Fahrer daher alle seine Aufträge von einem einzigen Auftraggeber bekommt, das Fahrzeug von diesem mietet, mit der Tankkarte des Auftraggebers tankt, etc. und die gesamte Existenz des Fahrers somit von einem einzigen Auftraggeber abhängt, liegt ein Indiz für die Scheinselbstständigkeit vor.

Gesamteindruck entscheidend

Zusammengefasst beurteilen die Behörden daher anhand vieler Kriterien, ob der Gesamteindruck eines Selbstständigen oder eines Arbeitnehmers vorliegt. Dies soll verhindern, dass Personen, die faktisch als Arbeitnehmer eingesetzt werden, jedoch nur auf dem Papier als Unternehmer aufscheinen, hierdurch benachteiligt werden. Ein Unternehmer soll sich durch derartige Umgehungsgeschäfte nicht Steuern und Abgaben ersparen.

In Österreich?

Das Modell eines selbstständigen Fahrers, der über keinerlei eigene Betriebsmittel verfügt, faktisch komplett in die Unternehmensstruktur eines Transportunternehmers eingegliedert ist und weisungsgebunden Lenkleistungen erbringt, ist in Österreich praktisch nicht vorhanden. Insbesondere gibt es für eine derartige Tätigkeit in Österreich auch kein eigenes Gewerbe und wird in den meisten Fällen eine Scheinselbstständigkeit vorliegen. Im Ausland wird dieses Modell jedoch häufig genutzt.

In Europa?

Problematisch wird die gesamte Angelegenheit dann, wenn derartige Umgehungsgeschäfte und rechtsmissbräuchliche Geschäftsmodelle dazu benutzt werden, Lohndumping in großem Stil zu betreiben. Zur Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping sind insbesondere die neuen Entsendebestimmungen des EU-Mobilitätspaketes erlassen worden, die mittlerweile auch national im LSD-BG umgesetzt wurden. Im Transportbereich haben diese Vorschriften insbesondere das Ziel, dass Fahrer gerecht entlohnt werden und der faire Wettbewerb gewährleistet ist. Wird daher ein Lkw-Fahrer ins Ausland entsandt, so sind auch die Mindestlohnvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Fahrer tätig ist. Einfach erklärt bedeutet dies, dass beispielsweise der Fahrer eines rumänischen Transportunternehmens, der einen Transport von Österreich nach Deutschland durchführt, für die Dauer seiner Tätigkeit in Österreich, nach den österreichischen kollektivvertraglichen Bestimmungen zu entlohnen ist.

Da diese Vorschriften im Transportbereich nur auf Arbeitnehmer anzuwenden sind, liegt es auf der Hand, dass versucht wird, diese Regelungen durch Umgehungsgeschäfte (scheinselbstständige Fahrer) zu umgehen. Genau aufgrund dieses Umstandes und um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern, untersuchen Behörden daher, ob ausländische Fahrer, die als selbständige Unternehmer deklariert werden und in Österreich unterwegs sind, nicht anhand der obigen Kriterien als Arbeitnehmer einzustufen sind. Ist dies der Fall, so müssen auch diese Fahrer für den österreichischen Teil der Strecke nach dem österreichischen Kollektivvertrag entlohnt werden.

Auch Auftraggeber haften

Aus den Erwägungsgründen der EU-Entsenderichtlinie (2020/1057) ergibt sich, dass es dem Gesetzgeber ein besonderes Anliegen war, auch Auftraggeber, Spediteure und Versender mit in die Haftung zu nehmen. Um Rechtsmissbrauch durch Transportunternehmer zu verhindern und Lohn- und Sozialdumping hintanzuhalten, wurden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, Gesetze zu erlassen, die Versender, Spediteure und Auftraggeber sanktionieren, wenn diese wussten oder angesichts aller relevanten Umstände hätten wissen müssen, dass beim Transport gegen Entsendevorschriften verstoßen wird. Der österreichische Gesetzgeber hat dies zum Anlass genommen, das LSD-BG zu novellieren. Gemäß dem neu eingeführten § 27b können Versender und Spediteure in diesem Zusammenhang mit Strafen bis zu 40.000 Euro belangt werden. Die Formulierung, dass der Versender oder Spediteur von der Verwaltungsübertretung „wusste oder hätte wissen müssen“ ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Aufgrund des EU-Mobilitätspakets ist jede Entsendung über die hierfür gesondert eingerichtete IMI-Plattform der EU anzuzeigen. Auftraggeber können daher jederzeit durch Anforderung der IMI-Meldung beim beauftragten Frachtführer überprüfen, ob die Entsendung gemeldet wurde. Durch Anforderung des A1 Dokuments können Auftraggeber sich davon vergewissern, dass die Fahrer ordnungsgemäß zur Sozialversicherung angemeldet sind.

FAKTEN, BITTE!
LIEFERKETTENSCHUTZGESETZ

Bereits seit dem Jahr 2021 wird in Österreich die Einführung eines Lieferkettenschutzgesetzes diskutiert – und es ist aufgrund der EU-Vorlage des Lieferkettenschutzgesetzes aus dem Jahr 2022 anzunehmen, dass dieses in Österreich bald umgesetzt wird. In Deutschland wurde bereits das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) umgesetzt. Dieses verpflichtet Unternehmen ab Erreichen eines gewissen Arbeitnehmer-Schwellenwertes Sorgfaltspflichten entlang ihrer gesamten Lieferkette einzuhalten. Demnach müssen Maßnahmen und Prozesse implementiert werden, die beispielsweise schlechte Arbeitsbedingungen und Verstöße in diesem Zusammenhang verhindern sollen. Auch mit diesen neuen Gesetzen zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette soll gewährleistet werden, dass zukünftig nicht nur der Arbeitgeber oder direkte Auftraggeber für schlechte Bedingungen, Lohndumping und Gesetzesverstöße belangt werden können, sondern diese Verantwortung auf alle Beteiligten in der Lieferkette erstreckt wird.

Wegschauen geht nicht mehr

Werden bei den Transportunternehmen somit Verstöße gegen das LSD-BG festgestellt, oder liegt tatsächlich Lohndumping vor, so wird in Zukunft auch beim Versender und Spediteur kontrolliert werden, inwiefern dieser sich davon überzeugt hat, ob die Vorschriften vom beauftragten Transportunternehmer eingehalten werden. Wegschauen und zu sagen „ich habe mich darauf verlassen, dass der alles richtig macht“ oder „wie soll ich das kontrollieren?“ ist dann nicht mehr möglich. Zusammengefasst bedeutet dies, dass auch Auftraggeber, Versender und Spediteure mit in der Haftung sein können, wenn festgestellt wird, dass ein selbständiger Fahrer als Arbeitnehmer einzustufen ist und ein Fall des Lohn- und Sozialdumpings vorliegt. Eine zusätzliche Verschärfung stellt in diesem Zusammenhang übrigens das „Lieferkettenschutzgesetz“ dar, das in Österreich diskutiert wird. In Deutschland wurde bereits das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) umgesetzt – siehe nebenstehenden Kasten „Fakten, bitte!“.

Fazit

Es zeigt sich also ganz deutlich, dass sowohl die EU, als auch die nationalen Gesetzgeber, bemüht sind, mit voller Härte gegen Lohndumping und unfairen Wettbewerb innerhalb der EU vorzugehen! Allerdings wurde bisher oft nicht dort kontrolliert, wo besonders genau hingeschaut werden muss. Statt über Transportunternehmen hohe Strafen zu verhängen, weil Verträge in einer falschen Sprache mitgeführt werden, sollte gezielt gegen tatsächliches Lohndumping und Abgabenhinterziehung vorgegangen werden. Besonders soll hierbei auch darauf geachtet werden, ob durch gefinkelte Vertragskonstruktionen versucht wird, die Lohn- und Sozialdumping- sowie Arbeitnehmervorschriften zu umgehen. Die Überprüfungs- und Sorgfaltspflichten werden hierbei nicht nur auf den direkten Auftraggeber oder Auftragnehmer beschränkt, sondern werden diese auf die gesamte Lieferkette und somit auch Versender, Spediteure und Auftraggeber ausgeweitet. Schlussendlich sollen auch diejenigen mit in die Haftung gezogen werden, die wenn auch nur indirekt, vom Sozialdumping oder den widrigen Arbeitsbedingungen profitieren. Genau deshalb ist für alle Beteiligten im Transportgeschäft zukünftig wichtig, genaue Qualitätsprozesse zu etablieren und die eigenen Vertragspartner sorgfältig zu prüfen. Auch Rahmenvereinbarungen und Logistikverträge sind hierbei von großer Bedeutung. Insbesondere die Strafhöhen wie jene des LSD-BG (EUR 40.000) unterstreichen nochmals den Ernst der Sache und das hohe Risiko.

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