Transportrecht. BGH-Entscheidung erweitert Anwendungsbereich der CMR Gerichtsstände auf Direktklageansprüche gegen Verkehrshaftungsversicherer.

Direktklageansprüche gegen den Verkehrshaftungsversicherer können laut einer aktuellen BGH-Entscheidung an den CMR-Gerichtsständen des Art. 31 Abs. 1 lit b CMR eingeklagt werden. Die gleichzeitige Inanspruchnahme von Frachtführer und Verkehrshaftungsversicherer minimiert wesentlich das klagsseitige Insolvenzrisiko.

Ausgangslage

Auf einem den CMR unterliegenden Straßengütertransport von Mailand nach Salzgitter (Deutschland) kam es zu einem Schaden am Transportgut. Der Schaden wurde durch die Versicherung des von der Absenderin beauftragten Frachtführers reguliert. Die regulierende Versicherung klagte den auf sie im Wege der Legalzession übergegangen Anspruch gegenüber dem von ihrer Versicherungsnehmerin beauftragten polnischen Subfrachtführer und dessen ebenfalls in Polen sitzender Verkehrshaftungsversicherung vor dem LG Braunschweig ein. Das angerufene Gericht erklärte sich mit Zwischenurteil für zuständig. Eine Berufung blieb erfolglos. Die Revision wurde vom BGH mit Urteil vom 29.5.2019 zu AZ I ZR 194/18 zurückgewiesen und damit die Zuständigkeit des Erstgerichtes bestätigt.

Anwendungsbereich der CMR-Gerichtsstände

Bekanntlich können alle Streitigkeiten aus einer den CMR unterliegenden „Beförderung“ am Ort der Übernahme oder Ablieferung des Gutes sowie am Sitz des Beklagten geltend gemacht werden. Laut ständiger deutscher und österreichischer Rechtsprechung und herrschender Lehre ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 31 CMR („Beförderung“ und nicht „Beförderungsvertrag“) ein weiter Anwendungsbereich. Von der Zuständigkeitsbestimmung werden daher auch außervertragliche Ansprüche erfasst, sofern sie ihren Ursprung in der zugrundeliegenden Güterbeförderung haben bzw. mit dieser in hinreichend engem Zusammenhang stehen. Die Vereinbarung zusätzlicher Wahlgerichtsstände ist zulässig. Im Übrigen sind die Gerichtsstände der CMR unabdingbar (Art. 41 CMR).

Problemstellung hinsichtlich der Zuständigkeit

Die CMR-Gerichtsstände stehen demnach unzweifelhaft für den Anspruch gegen den polnischen Subfrachtführer zur Verfügung. Nicht derart eindeutig zu beantworten ist, ob dies auch für den Anspruch gegen den Verkehrshaftungsversicherer des Subfrachtführers gilt. Für diesen stehen grundsätzlich die Gerichtsstände der Art. 10 ff EuGVVO am Sitz des Versicherers (Polen) sowie des Schadeneintrittsortes zur Verfügung. Auch wenn der Schadeneintrittsort auf Basis einer Entscheidung des EuGH (C-51/97) pauschal am Ablieferungsort argumentiert werden kann, ergibt sich hieraus zwar im Ausgangsfall, nicht aber immer ein Gleichklang zwischen EuGVVO und CMR-Gerichtsständen. Insbesondere wenn der Ablieferungsort nicht am Sitz der klagenden Partei liegt, fallen die Gerichtsstände nach EuGVVO und CMR auseinander. Die EuGVVO bietet weiters keinen Gerichtsstand am Übernahmeort. Das Fehlen eines solchen Gleichklanges führt letztlich oft dazu, dass gegen den Subfrachtführer und dessen Verkehrshaftungsversicherer zwei getrennte Prozesse einzuleiten sind oder – was weitaus häufiger der Fall ist – von einer Klagsführung gegen den Verkehrshaftungsversicherer überhaupt abgesehen wird.

Die Entscheidung des BGH

In der gegenständlichen Entscheidung sprach der BGH nunmehr aus, dass auch Direktansprüche gegen Verkehrshaftungsversicherer in den Anwendungsbereich des Art. 31 Abs. 1 lit b CMR fallen, da sie in hinreichend engem Zusammenhang mit der Güterbeförderung stehen. Dies ist insofern nicht selbstverständlich, als sich der Direktanspruch nicht allein aus der Beförderung, sondern zumindest auch aus dem Versicherungsvertragsverhältnis ergibt. Der beklagte Verkehrshaftungsversicherer könnte bei näherer Betrachtung zu seiner Verteidigung sogar ausschließlich Argumente aus dem Versicherungsvertragsverhältnis heranziehen.

Begründung der Entscheidung

Der BGH argumentiert den erforderlichen (hinreichenden) Zusammenhang des Direktanspruchs mit dem Beförderungsvertrag im Wesentlichen damit, dass es die Anwendung des Art. 31 Abs. 1 lit b CMR dem Geschädigten ermöglicht, mehrere aus demselben Beförderungsvertrag herrührende Streitigkeiten vor den Gerichten eines einzigen Vertragsstaates abzuwickeln. Die nach nationalem Recht bestehende Akzessorität zwischen den geltend gemachten Ansprüchen gewährleistet weiters, dass die Haftung des Frachtführers nicht weiter geht, als jene des Verkehrshaftungsversicherers. Dadurch ist laut BGH auch dem Zweck des Art. 31 Abs. 1 CMR Rechnung getragen, nämlich divergierende gerichtliche Entscheidungen zu verhindern. Der Umstand, dass der im Wege einer Direktklage in Anspruch genommene Verkehrshaftungsversicherer sich möglicherweise ausschließlich auf Einwendungen aus dem Versicherungsverhältnis berufen kann, löst den Zusammenhang mit dem Beförderungsvertrag laut BGH nicht auf.

Materiellrechtliche Voraussetzung

Materiellrechtliche Voraussetzung für die direkte Inanspruchnahme des Verkehrshaftungsversicherers ist, dass für diese im jeweils anwendbaren nationalen Recht eine gesetzliche Grundlage existiert. Das auf den jeweiligen Einzelfall anzuwendende materielle Recht ergibt sich aus Art. 18 Rom II Verordnung. Der Verkehrshaftungsversicherer kann nur direkt in Anspruch genommen werden, wenn dies „nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis oder nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht“ vorgesehen ist. Deliktsstatut oder Versicherungsstatut sind jeweils im Einzelfall zu prüfen. Im Ausgangsfall ergibt sich der Direktklageanspruch aus Art. 822 § 4 des Polnischen Zivilgesetzbuchs.

Praxis / Vorteile einer Direktklage

Die Praxis zeigt, dass es im Einzelfall oft schwer ist, den Verkehrshaftungsversicherer eines im Ausland sitzenden Subfrachtführers ausfindig zu machen, von diesem Informationen zu erhalten oder überhaupt erst in Kontakt zu treten. Es bedarf regelmäßig des Einsatzes kostenintensiver Mittel wie beispielsweise eines ausländischen Korrespondenzanwaltes. Antworten – sofern solche überhaupt erfolgen – lassen meist keinen Rückschluss auf das zugrundeliegende Versicherungsvertragsverhältnis zu. Demgegenüber sind die Vorteile einer Direktklage evident. Für die klagende Partei eröffnet sich ein zusätzlicher Deckungsfond. Dies ist insbesondere deshalb relevant, weil Forderungen jenseits von € 10.000,00 gegenüber osteuropäischen Unternehmen erfahrungsgemäß schwer durchsetzbar sind.

Fazit

Zusammenfassend wird der Anwendungsbereich des Art. 31 Abs. 1 lit b CMR durch die gegenständliche Entscheidung auf Direktklageansprüche gegen Verkehrshaftungsversicherer erweitert. Insbesondere können diese am Gerichtsstand des Übernahmeortes eingeklagt werden, welche Möglichkeit die EuGVVO nicht bietet. Die gleichzeitige Inanspruchnahme von Frachtführer und Verkehrshaftungsversicherer minimiert darüber hinaus wesentlich das klagsseitige Insolvenzrisiko. Alles in allem ist die Entscheidung des BGH daher aus Sicht österreichischer CMR-Versicherer und Frachtführer im Hinblick auf einen Regress gegen polnische Subfrachtführer zu begrüßen. Die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Schärmer hat auf Basis der erläuterten BGH-Entscheidung bereits eine ähnliche Klage unter direkter Miteinbeziehung eines polnischen Verkehrshaftungsversicherers eingebracht. Abzuwarten bleibt, ob sich die österreichischen Gerichte der deutschen Rechtsprechung anschließen.

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Stragü 03/2020, Dr. Schärmer – Corona Virus – europäischer Güterverkehr bereits infiziert

Aktuellen Medien zufolge, werden europaweit immer mehr Fälle von Corona Virus-Infizierten gemeldet. Besonders in Norditalien ist die Situation angespannt und zeigt erste Auswirkungen auf den europäischen Güterverkehr. Welche Folgen die europaweite Epidemie für den Güterverkehr hat haben wir für Sie zusammengefasst.

Lage in Südtirol

Am stärksten ist in Europa derzeit Norditalien vom Corona Virus betroffen. Casalpusterlengo und einige weitere Dörfer wurden zu roten Zonen erklärt und abgeriegelt, um die Ausbreitung des neuartigen Virus zu stoppen. Zollfahrzeuge blockieren die Zufahrt in die Dörfer, in denen die Bewohner unter Quarantäne stehen. Maßnahmen wie diese beeinträchtigen auch den Güterverkehr in dieser Region. Auf der Brennerautobahn herrscht derzeit nicht so ein reger Verkehr wie sonst immer, da sich immer weniger Frächter in das betroffene Gebiet trauen. So fallen immer mehr Aufträge nach und von Süditalien aus, was viele Fragen hinsichtlich der Haftung für allfällige Schäden aufwirft

LKW unter Quarantäne gestellt

Wird ein Lkw aufgrund eines, im Zusammenhang mit dem Corona Virus stehenden Verdachts unter Quarantäne gestellt und somit die Weiterfahrt auf unbestimmte Zeit verhindert, so stellt sich die Frage wer für den daraus resultierenden Schaden haftet. In einem solchen Fall ist nämlich der Fahrer am weiteren Einsatz gehindert, die beförderte Ware kann nicht fristgerecht zugestellt werden und wachsen Standgeldforderungen täglich.

Gemäß Art. 17 Abs. 2 CMR ist der Frachtführer unter anderem von seiner Haftung befreit, wenn der Verlust, die Beschädigung oder die Überschreitung der Lieferfrist durch Umstände verursacht worden sind, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte.

Zunächst ist somit festzustellen, ob der Corona Virus unter ein solches unabwendbares Ereignis im Sinne des Art. 17 Abs. 2 CMR fällt. Die europaweite Epidemie stellt grundsätzlich eine höhere Gewalt dar und Schäden, die aus dieser Gefahr entstehen, kann der Frachtführer grundsätzlich nicht vermeiden und deren Folgen nicht abwenden. Wird ein Fahrzeug somit plötzlich und unerwartet, aufgrund eines Verdachts im Zusammenhang mit dem Corona Virus unter Quarantäne gestellt, so trifft den Frachtführer kein Verschulden für daraus resultierende Schäden, da dieser Umstand ein unabwendbares Ereignis darstellt. Problematisch wird es jedoch dann, wenn Transportaufträge in Regionen angenommen werden, von denen bekannt ist, dass Sperrzonen verhängt wurden und immer mehr Fahrzeuge an der Weiterfahrt gehindert werden. Hierdurch wird ein solches Ereignis nämlich vorhersehbarer und muss der Frachtführer unter Umständen sogar damit rechnen, dass es Schwierigkeiten in der Abwicklung des Transports geben wird. Der Schaden wird somit vorhersehbar und nicht mehr unabwendbar. Kommt der Frachtführer sodann seiner Erkundigungsplicht und Aufklärungspflicht nicht nach und klärt den Auftraggeber über zu erwartende Risiken und mögliche Gefahren nicht auf, so muss dieser sich zumindest ein Teilverschulden anrechnen lassen. Diese Situation ist vergleichbar mit der Flüchtlingsgefahr bei Englandtransporten, bei denen der Frachtführer bereits im Vorfeld weiß, dass es zu Gefahren und Schäden kommen kann und seinen Auftraggeber nicht genügend über diese aufklärt. Aktueller Judikatur zufolge, muss der Frachtführer seinen Auftraggeber über bekannte Gefahren wie die Flüchtlingsproblematik im Vorfeld aufklären.

Um daher im Nachhinein als Frachtführer nicht in die Haftung genommen zu werden, empfiehlt es sich bei Transporten in die betroffenen Gebiete, den Auftraggeber über mögliche Gefahren und Risiken aufzuklären. Wird danach trotzdem die Durchführung des Transports vom Auftraggeber gewünscht, obwohl dieser über die besondere Gefahrenlage aufgeklärt worden ist, so muss der Auftraggeber sich allfällige daraus resultierende Schäden anrechnen lassen, da der Frachtführer seinen Sorgfalts- und Aufklärungspflichten nachgekommen ist und der Auftraggeber somit mögliche Gefahren in Kauf nimmt.

Fahrer unter Quarantäne-Entgeltfortzahlung

Auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage, wie sich der Verdacht auf Corona Virus bei einem Arbeiter des Transportunternehmens auswirkt. Fällt eine solche Quarantäne unter den Krankenstand? Die Antwort auf diese Frage lässt sich im Epidemiegesetz finden. Demnach muss der Dienstgeber dem Betroffenen das Entgelt weiterzahlen. Bei einer Verhängung der Quarantäne handelt es sich somit nicht um Krankenstand, sondern um einen Dienstverhinderungsgrund. Wird ein Lkw-Fahrer deshalb unter Quarantäne gestellt, so ist diesem das Entgelt weiterhin zu bezahlen.

Zusammenfassung, Praxistipps:

    • >> der Corona Virus breitet sich derzeit in Europa aus und zeigt bereits erste Auswirkungen auf die europäische Güterbeförderung
    • >> in Teilen Norditaliens wurden bereits Sperrzonen eingerichtet und die Quarantäneisolation verhängt
    • >> die europaweite Epidemie stellt grundsätzlich ein unabwendbares Ereignis dar, und ist dem Frachtführer für unerwartete daraus resultierende Schäden kein Verschulden anzurechnen
    • >> ist von einer bestimmten Destination oder Route jedoch bekannt, dass bei dieser sehr wahrscheinlich mit Schwierigkeiten im Bezug auf den Corona Virus zu rechnen ist oder wurde darüber hinaus eine Sperrzone verhängt, so wird ein allfälliges Ereignis vorhersehbar
    • >> den Frachtführer trifft sodann die Pflicht seinen Auftraggeber über die aktuelle Gefahrenlage so präzise wie möglich aufzuklären
    • >> wird der Auftraggeber ausreichend aufgeklärt und nimmt er das Risiko in Kauf, so ist der Frachtführer von seiner Haftung befreit
    • >> wird ein Fahrer unter Quarantäne gestellt, so handelt es sich um einen Dienstverhinderungsgrund und ist diesem das Entgelt sohin weiter zu bezahlen

Transporteur 03/20 – PDF