Stragü 08/2016, Dr. Schärmer – Tabula rasa? „LKW-Kartell“

Stragü 08/2016, Dr. Schärmer – Tabula rasa? „LKW-Kartell“

Das „Lkw-Kartell“ ist in aller Munde – so mancher Lkw-Betreiber erwägt eine Klage gegen die Lkw-Hersteller. Wo liegen die Risken und auf was ist zu achten?

Die EU-Kommission hat festgestellt, dass MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF durch Absprachen im Bereich von Verkaufspreisen für Lkw und der mit der Einhaltung der strengeren Emissionsvorschriften verbundenen Kosten gegen Kartellvorschriften verstoßen haben.
Der gegenständliche Artikel verfolgt ausschließlich das Ziel, die derzeitige Sachund Rechtslage auf Basis des aktuellen Informationsstandes kompakt darzustellen. Der Autor distanziert sich von einer Empfehlung, dringend (massenhaft) Klagen gegen die betroffenen Nutzfahrzeughersteller einzubringen, da aus derzeitiger Sicht noch zahlreiche Unklarheiten bestehen, die vorher eingehend geprüft werden müssen. Weiters muss die Situation für den potentiellen Anspruchsberechtigten auch im Einzelfall geprüft werden.

KARTELLRECHTLICHE VERSTÖSSE

Laut der Aussendung der EU-Kommission vom 19. Juli 2016 hat die Untersuchung der EU-Kommission ergeben, dass MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF ein Kartell gebildet haben. Diesem Kartell ist die Anhebung der Bruttolistenpreise für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen, die Absprache des Zeitplans für die Einführung von Emissionssenkungstechnologien für mittelschwere und schwere Lastkraftwagen als Reaktion auf die zunehmend strengeren europäischen Emissionsnormen sowie die Weitergabe der Kosten für die Emissionssenkungstechnologien zur Last gelegt worden. Das Kartell sei 1997 gegründet worden und bestand 14 Jahre lang. Die EU Kommission hat 2011 unangekündigte Hausdurchsuchungen zur Ermittlung des Sachverhaltes vorgenommen. Die Absprachen seien auf höchster Führungsebene bei Messen oder Branchenveranstaltungen erfolgt (siehe Pressemitteilung der europäischen Kommission vom 19. Juli 2016).

REKORDGELDBUSSE

Insgesamt betrug die Summe der Geldbußen 2,926 Milliarden Euro, wobei der größte Teil auf den Hersteller Daimler entfiel (rund 100 Mio. Euro). MAN wurde die Geldbuße im Rahmen der Kronzeugenregelung vollständig erlassen, da MAN vor Einleitung der Untersuchungen durch die Kommission das Kartell offen legte und den Erlass der Geldbuße beantragte. Da dies in vielen Aussendungen der letzten Tage untergegangen ist, muss zur Vollständigkeit festgehalten werden, dass vom vorliegenden Beschluss der EUKommission der Nutzfahrzeughersteller Scania nicht betroffen ist. Gegen Scaniawurde zwar im Rahmen der Kartelluntersuchung auch ein Verfahren eingeleitet, das Verfahren läuft allerdings noch. Die Verhängung der Rekordgeldbuße wurde von der Wettbewerbskommissarin damit begründet, dass man aufgrund der großen wirtschaftlichen Bedeutung ein Exempel statuieren wollte, da schließlich insgesamt über 30 Mio. Lkw auf Europas Straßen unterwegs seien, die einen beträchtlichen Teil des Warenverkehrs im Landverkehr in Europa abwickeln (siehe Pressemitteilung der europäischen Kommission vom 19. Juli 2016).

SCHADENERSATZ

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann jeder, der einen Schaden erlitten hat, Schadenersatz verlangen. In den letzten 14 Tagen häufen sich die Aussendungen von Rechtsanwaltskanzleien, mit der Empfehlung, Klagen gegen die Nutzfahrzeughersteller einzubringen. Größere Transportunternehmen aus meinem Mandantenkreis berichteten, dass sie bereits auch Anrufe von Anwaltskanzleien erhalten hätten, in denen die Klagseinbringung dringend empfohlen und die Vertretung für derartige Verfahren angeboten wurden. Nach der zuletzt ergangenen Entscheidung des EuGH kann die Klage gegen den Hersteller dort eingebracht werden, wo sich der Schadenserfolg verwirklicht hat. Dies ist in der Regel der Ort an dem der mutmaßlich Geschädigte seinen Sitz hat. Daher könnten österreichische Transportunternehmer den Hersteller in Österreich klagen. Weiters ist es möglich, einen Beteiligten am Kartell zu klagen, sofern ein Gerichtsstand in Österreich
hierfür gegeben ist. Der betroffene Hersteller hat dann im Anschluss die Möglichkeit eines Regresses gegen die Mitbeteiligten des Kartells, da diese solidarisch untereinander haften. Weiters ist noch interessant, dass die neue europäische Richtlinie zur Erleichterung von Schadenersatzansprüchen aus Kartellverstößen (Richtlinie 2014/104/EU) bis 27. Dezember 2016 in innerstaatliches Recht umzusetzen ist. Diese Richtlinie sieht enorme Beweiserleichterungen für den mutmaßlich Geschädigten vor. Dazu gehört unter anderem, dass der Hersteller zur Offenlegung von Beweismitteln gezwungen werden kann. Auch die Wettbewerbsbehörde muss die Akten zugunsten des Geschädigten offen legen. Weiters sieht die Richtlinie vor, dass die Gerichte in bestimmten Fällen die Höhe des Schadens schätzen dürfen, wenn es für den Kläger praktisch unmöglich ist oder mit übermäßigen Schwierigkeiten verbunden ist, die Höhe des Schadens zu ermitteln bzw. genau zu beziffern.

Andererseits kann der beklagte Hersteller in einem Verfahren über Schadenersatzklagen als Einwendung geltend machen, dass der Kläger den sich aus der Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ergebenden Preisaufschlag ganz oder teilweise weitergegeben hat. Die Beweislast für die Weitergabe des Preisaufschlages trägt aber der Hersteller, der aber in angemessener Weise ebenfalls Offenlegung vom Kläger oder Dritten verlangen kann. Weiters ist zu beachten, dass die Berechnung der Schadensersatzforderungen Schwierigkeiten bereiten wird. Eine Überschlagsrechnung des „Wirtschaftsblatts“ (Ausgabe vom 27. Juli 2016) errechnet beispielsweise eine durchschnittliche Überzahlung pro Lkw von 450,- Euro. Aufgrund der Unsicherheiten zur Schadenshöhe, sollte eine Klage auf keinen Fall vor Einholung eines entsprechenden

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